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28. Mai 2021 | Pirmin Hotz

Werden die Reichen tatsächlich immer reicher?

Die führenden Notenbanken der Welt fluten seit über einem Jahrzehnt die Märkte mit Liquidität in einem Ausmass, wie es die Menschheit noch nie gesehen hat. Längst haben wir uns daran gewöhnt, dass Banken Negativzinsen auf grössere Sparbeträge verlangen und wir bei qualitativ erstklassigen Anleihen draufzahlen müssen.

Parallel dazu stehen nicht nur die Anleihen-, sondern auch die Aktien- und Immobilienmärkte auf historischen Höchstständen. Wer reich ist und sein Geld erfolgreich anlegt, wurde im letzten Jahrzehnt immer reicher. Aber stimmt das auch wirklich? Nein, bei Lichte betrachtet stimmt dies nur bedingt, auch wenn es immer wieder von allen Seiten gebetsmühlenartig so verkündet wird.

Das International Institute of Finance (IIF) schätzt, dass die globale Gesamtverschuldung (Staaten, Unternehmen, Private) im vergangenen Jahr den Rekordwert von 281,5 Bio. US-Dollar erreicht hat. Das entspricht 355 Prozent des Welt-Bruttoinlandprodukts. Zwar steht die Schweiz etwas besser da, aber auch bei uns ist die Tendenz seit der Corona-Pandemie stark steigend. Zudem werden die Löcher in der AHV und IV immer grösser. Im Zuge der weltweiten Schuldenorgien erstaunt deshalb nicht, dass der Internationale Währungsfonds (IMF) nebst höheren Mehrwertsteuern eine temporäre Covid-19-Wiederaufbausteuer ins Spiel bringt, die auf hohen Einkommen und Vermögen zu erheben wäre. Auch Erbschaftssteuern stehen zur Debatte. Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hat jüngst verkündet, dass sie Erbschaftssteuern als gerecht und effizient beurteile. Der französische Ökonom Gabriel Zucman und sein Co-Autor Emmanuel Saez schlagen vor, die Börsenkapitalisierung der Firmen in den G-20-Staaten mit jährlich 0,2 Prozent zu besteuern. Damit sollen alleine mindestens 180 Mrd. US-Dollar pro Jahr zusammenkommen. Das Geld soll zur Finanzierung der Corona-Krise und für Klimaschutzmassnahmen verwendet oder an internationale Organisationen verteilt werden.

Richtig ist, dass wir zwar mehr Vermögen haben als vor 10 Jahren. Aber auch mehr Schulden. Es gibt wohl keinen Zweifel, dass der Schuldengigantismus Folgen haben wird für unseren Geldbeutel. Irgend eines Tages kommt die Stunde der Wahrheit und wir müssen unsere Verbindlichkeiten begleichen. Das sind wir den nachrückenden Generationen schuldig. Zusätzliche Steuern werden wohl unvermeidlich sein. Wer richtig rechnet, rechnet deshalb seinen "staatlichen Schuldenanteil" heute schon von seinem Vermögen runter. Konkret: Ziehen Sie gedanklich 10 oder 15 Prozent von Ihrem heutigen Gesamtvermögen ab und reservieren sie diesen Anteil für einen potenziellen Schuldenabbau. Aber keine Angst: Der Staat wird Ihnen die 10 oder 15 Prozent nicht auf einen Schlag wegbesteuern. Das Gemeine ist, dass dies wohldosiert und schleichend erfolgen wird, so dass wir es kaum merken. Aber passieren wird es. Vermögende sollten sich also nicht allzu stark über boomende Anleihen-, Immobilien- und Aktienmärkte freuen, denn es droht finanzielle Repression, die diese Gewinne wieder abschmelzen lässt. Deshalb gilt: Nach Abzug unserer horrenden (Staats-)Schulden ist unser Vermögen in den letzten 10 Jahren deutlich weniger gestiegen, als es sich vielleicht anfühlt. Unser Vermögensausweis ist zum Teil eine Fata Morgana, die von drückenden Schulden umhüllt ist – selbst wenn wir privat keine oder wenig Schulden haben.