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Überschätzte Immobilienanlagen

Überschätzte Immobilienanlagen

Der Boden am Immobilienmarkt dürfte noch nicht erreicht sein. Die Hypothekarschuldner werden die höheren Zinsen zu spüren bekommen, wenn sie auslaufende Kredite verlängern müssen.

Eigenheimbesitzer und Hypothekarschuldner haben über viele Jahre vom billigen Geld profitiert. Die seit der Zinswende sinkenden Preise und der Fall des Immobilienmoguls René Benko rufen in Erinnerung, dass Immobilienrisiken oft sträflich unterschätzt werden.

Immobilienanlagen gehören, wie Aktien, zu den Realwertanlagen und sind langfristig attraktiv. Gemäss Statistik der Schweizerischen Nationalbank (SNB) waren zu Beginn der 2020er-Jahre 44% der Schweizer Privatvermögen in «Betongold» investiert. Im Vergleich dazu investieren Schweizer nur gerade 7% ihres Vermögens in Aktien. Liegenschaftsbesitz ist damit des Schweizers mit Abstand beliebteste Kapitalanlage.

Besitzer von Häusern oder Wohnungen hatten in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten viel Grund zur Freude. Besonders Objekte an bevorzugter Lage haben eine fulminante Entwicklung hingelegt. Sie wurde befeuert durch historisch niedrige Zinsen und kapitalkräftige Zuwanderer. Es erstaunt deshalb nicht, dass Käufer neuer Wohnliegenschaften eine Bruttorendite von rekordverdächtig niedrigen 2% oder weniger akzeptierten. Netto entspricht dies einer Rendite, die unwesentlich über der Nulllinie liegt.

In den vergangenen Jahren wies die SNB immer wieder darauf hin, dass Einfamilienhäuser und Stockwerkeigentum zwischen 15 und 40% überbewertet seien. Seit Einsetzen der Zinswende im Frühjahr 2022 ist der Himmel am Immobilienfirmament mit Wolken verhangen, und viele Liegenschaften haben laut Experten zwischen 10 bis 15% korrigiert. Führende Schweizer Immobiliengesellschaften wie PSP Swiss Property oder Swiss Prime Site haben von ihren Höchstständen, die sie 2020 erreicht haben, sogar zwischen 25 und 30% abgegeben.

Der Stresstest steht noch an

Es ist nicht unwahrscheinlich, dass der Boden am Immobilienmarkt noch nicht erreicht ist. Da die Hypothekarschuldner die stark erhöhten Zinsen erst im Lauf der nächsten Jahre zu spüren bekommen werden, wenn sie ihre auslaufenden Kredite verlängern müssen, ist davon auszugehen, dass der eigentliche Stresstest für die Branche erst noch ansteht. Während nämlich die durchschnittliche Zinslast gemäss dem Bundesamt für Wohnungswesen zurzeit noch bei rund 1,5% liegt, beträgt der aktuelle Zins für eine fünfjährige Festhypothek bereits rund 2,5%. Es droht eine markante Erhöhung der Zinslast.

2024 bis 2026 werden Hypotheken im Gesamtbetrag von rund 400 Mrd. Fr. und damit ein Drittel aller in der Schweiz bestehenden Hypotheken fällig. Das impliziert erhebliche Risiken für Immobilienbesitzer und kreditgebende Banken, auf die die SNB und die Finanzmarktaufsicht Finma schon länger hinweisen. In der EU warnte die Europäische Zentralbank Ende Mai sogar vor «ungeordneter Korrektur» der Immobilienpreise.

Viele Immobilienbesitzer tendieren dazu, die Rendite ihrer Anlagen zu überschätzen. Wenn jährlich 1% des Immobilienwerts für Unterhalts- und Nebenkosten budgetiert wird, ist das langfristig zu wenig, weil darin einmalige Aufwendungen sowie Rücklagen für Erneuerungen und Sanierungen nicht ausreichend abgebildet sind. Eher wären jährlich 2% oder mehr angebracht, um auf der sicheren Seite zu sein. Als Folge davon reduziert sich die zu erwartende Nettorendite signifikant.

Gewisse Wohneigentümer rechnen sich überdies reich, indem sie ihre Rendite nicht etwa auf den Marktwert, sondern auf den Anschaffungspreis ihrer Liegenschaft beziehen. Das wäre etwa so, wie wenn Nestlé-Aktionäre ihre Dividendenrendite nicht auf den aktuellen Marktpreis der Aktien, sondern auf den viel niedrigeren Einstandspreis beziehen würden, den sie einst bezahlt hatten. Das ist schönfärberisch. Dazu kommt, dass nicht wenige Schlaumeier die Rendite ihrer Liegenschaft nicht auf den Gesamtwert, sondern einzig auf die eingesetzten Eigenmittel berechnen. Das ist irreführend, denn schliesslich entspricht das risikotragende Kapital, das investiert wird, dem Kaufpreis der Immobilie.

Während es bei börsengehandelten Obligationen und Aktien einfach ist, historische Renditen zu bestimmen, gestaltet sich dies bei Immobilien, die privat gehandelt werden, schwieriger. Die jährliche Rendite von Obligationen seit 1926 liegt gemäss Pictet bei 3,9%, während sie für Aktien 7,7% erreicht. Marktbeobachter gehen davon aus, dass die durchschnittlich erzielte Nettorendite im Immobiliensegment irgendwo dazwischen angesiedelt ist, in der Tendenz mit 4 bis 5% aber näher bei der Obligationenrendite.

Nicht nur werden die Renditen von Wohneigentum überschätzt, sondern zudem die Risiken unterschätzt. Das liegt wohl auch daran, dass die letzte grosse Immobilienkrise, die in der Schweiz wütete, bereits drei Jahrzehnte zurückliegt. In den Neunzigerjahren sackten die Preise für Wohn- und Büroliegenschaften im Zuge drastischer Zinserhöhungen 30 bis 50% ab. Viele Immobiliengesellschaften meldeten als Folge davon den Konkurs an, und unzählige Regional- und Kantonalbanken gingen unter oder wurden übernommen. Von 1991 bis 1996 schrieben helvetische Banken die sagenhafte Summe von 42 Mrd. Fr. ab, was 8,5% ihrer ausstehenden Kredite entsprach. Das ist lange her. Von vielen Branchenkennern ist im derzeitigen Umfeld zu hören: «Das war damals. Heute kann das nicht mehr passieren.» Wirklich nicht?

Im Geschäft mit Immobilien wird viel Fremdkapital eingesetzt. Gemäss einer Anfang 2022 erstellten Studie des Immobilienspezialisten MoneyPark weisen Neukäufer im Durchschnitt eine Belehnung von 71% auf, während sie bei bestehenden Eigentümern 54% beträgt. Es bedarf keiner anspruchsvollen Mathematik, um festzustellen, dass viele Neukäufer bereits in die Bredouille kommen, wenn der Wert ihrer Liegenschaft 15 bis 20% korrigiert. Zur Verunsicherung trägt bei, dass die private Schuldenquote in der Schweiz mit rund 150% des BIP Weltrekord bedeutet. Dabei sind des Schweizers Schulden fast ausschliesslich Hypotheken, die hierzulande bis ins hohe Alter nur sehr zögerlich amortisiert werden.

Grossrisiko Immobilienblase

Wir mögen die Reichsten der Welt mit einer niedrigen Staatsschuldenquote sein, haben aber auch die höchsten privaten Schulden. Das birgt Sprengpotenzial. Für viele Häuslebauer und kreditgebende Banken mag ein erneuter Immobilien-Crash unvorstellbar sein, doch in dieser Überzeugung schwingt eine gewisse Naivität mit, denn gemäss den renommierten Harvard-Professoren Carmen Reinhart und Kenneth Rogoff («Dieses Mal ist alles anders – acht Jahrhunderte Finanzkrisen») sind Immobilienzusammenbrüche regelmässige Vorkommnisse in der Finanzgeschichte und sogar die Hauptursache von Finanzkrisen. Der Wirtschaftshistoriker Tobias Straumann (Universität Zürich) hat es in der «Zuger Zeitung» vom 27. Juni 2022 auf den Punkt gebracht: «Immobilienblasen sind das grösste gesamtwirtschaftliche Risiko überhaupt. Mit allen anderen kommen wir zurecht.»

Ende August 2021 verkündete Fritz Zurbrügg, damaliger Vizepräsident der SNB, dass etwa jede fünfte Liegenschaft nicht mehr tragbar sei, wenn die Zinsen auf 3% stiegen. Diesem Satz haben wir uns zwischenzeitlich angenähert. Der Superzyklus ist vorbei, und die Fallhöhe für etliche Immobilienbesitzer und kreditgebende Banken ist hoch. Dies gilt primär für diejenigen, die ihre Liegenschaft, so wie der österreichische Immobilienmogul René Benko und seine Signa Holding, mit viel Pump gekauft oder dafür ihr Pensionskassenvermögen geplündert haben. Selbst wenn ein Crash aus heutiger Sicht als unwahrscheinlich gilt: Auch Pensionskassen und Versicherungen bekommen die Korrektur auf ihrem Immobilienvermögen schmerzlich zu spüren.


Finanz und Wirtschaft
9. Dezember 2023

Autoren

Dr. Pirmin Hotz
ist Gründer und Inhaber der Dr. Pirmin Hotz Vermögensverwaltungen AG mit Sitz in Baar


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