Skip to main content
Zurück in die Zukunft der Geldanlage

Zurück in die Zukunft der Geldanlage

Innovative Finanzprodukte können vom Traum zum Trauma geraten. Die Treiber einer erfolgreichen Anlagepolitik sind vielmehr Beständigkeit, Disziplin, Einfachheit, Langeweile und Transparenz.

Die Innovation ist der Treiber des Erfolgs von Unternehmen. Sind Konzerne wie Apple, Microsoft, Nestlé, Novartis oder Siemens nicht innovativ und ständig auf der Suche nach Neuentwicklungen, so sind sie früher oder später nicht mehr wettbewerbsfähig und werden vom Markt verdrängt. Erforscht Roche nicht stetig neue Krebsmedikamente, gerät sie gegenüber der Konkurrenz ins Hintertreffen. Unternehmen, die wachsen wollen, brauchen Innovation.

Das ist auch in der Finanzbranche nicht anders. Elektronische Handels- und Zahlungssysteme sowie die Digitalisierung von Kundendaten sind Beispiele von innovativen Entwicklungen. Es stellt sich nun aber die Frage: Ist Innovation auch das A und O im Anlagegeschäft?

Die Schweizerische Bankiervereinigung kam im Jahr 2017 in ihrem umfassenden Grundlagenpapier «Berufliche Vorsorge» zum Schluss, dass Pensionskassen verstärkt in innovative respektive alternative Anlageprodukte diversifizieren sollten, um ihre Renditeziele auch in zinslosen Zeiten erreichen zu können. Die Studie sollte zu einer «Entmystifizierung von Alternativanlagen» beitragen. Namentlich wird empfohlen, in Hedge Funds zu investieren. Dies würde nicht nur die Rendite der Vorsorgevermögen steigern, sondern auch die Risiken reduzieren.

Die Bankiervereinigung bezieht sich in ihrer Argumentation auf den berühmten Begründer der modernen Portfoliotheorie, Harry Markowitz. Der Nobelpreisträger ist ein glühender Anhänger von Diversifikation. Die Bankiers scheinen geradezu entzückt zu sein von den unbegrenzten Anlagemöglichkeiten und Freiheiten, die die oft mit Krediten gehebelten Hedge Funds zu bieten haben. Geld verdienen, wenn die Märkte steigen, und über Leerverkäufe Geld verdienen, wenn sie sinken - das ist schlicht der Traum aller Anleger.

Die Sache mit den Hegde Funds

Markowitz proklamiert eine breite Diversifikation der Anlagen, weil die liquiden Finanzmärkte in einer Zeit, in der neue Informationen in Sekundenbruchteilen um die Welt gehen und in die Kurse einfliessen, hoch effizient funktionieren. Systematische Kursprognosen sind damit zum Scheitern verurteilt. Die Forderung des Wissenschaftlers nach Diversifikation ist deshalb eine Folge der Markteffizienz sowie der kurz- und mittelfristigen Nichtprognostizierbarkeit der Märkte. Hedge Funds unterstellen aber exakt das Gegenteil: Ihre Protagonisten glauben zu wissen, wann Aktien, Zinsen, Gold oder der Dollar steigen oder fallen werden. Hedge-Fund-Manager glauben im Kontrast zu Markowitz nicht an die Effizienz der Märkte. Vielmehr glauben sie an ihre eigene Prognosefähigkeit.

Was ist aus all den innovativen «Wunderprodukten» der Anlagegurus geworden? John Meriwether hat im Jahr 1998 mit dem Zusammenbruch seines monströsen Hedge Fund LTCM die Finanzwelt so stark erschüttert, dass die amerikanische Notenbank Fed unterstützend eingreifen und der damalige Präsident der UBS, Mathis Cabiallavetta, aufgrund eines Milliardenverlusts den Hut nehmen musste. In der Finanzkrise explodierten die milliardenschweren Fonds der einstigen Hedge-Fund-Wunderkinder Bernard Madoff und Allen Stanford.

Im Struki-Markt, der ein eigentliches Tummelfeld für innovative Finanzakrobaten darstellt, kam es zum Lehman-Debakel, das viele konservative Sparer mit Risiken und Verlusten konfrontierte, die sie bis anhin nicht für möglich hielten. Nach unzähligen Debakeln und Betrügereien im Geschäft mit Hedge Funds ist der Zusammenbruch von Archegos das jüngste Kapitel in einer Branche, die ständig von neuen Skandalen eingeholt wird.

Nach all den Erfahrungen der vergangenen Jahre und Jahrzehnte müsste doch eigentlich jeder wissen, dass Hedge Funds ein Eldorado für Zocker sind. Allein der Name Hedge, der im Grunde für Absicherung steht, ist ein Rohrkrepierer. In Tat und Wahrheit sollte wohl eher von Zockerfonds die Rede sein. Was eine Credit Suisse oder eine UBS antreibt, einem verurteilten Hedge-Funds-Betrüger, der ein waghalsiges Casino unterhält, Kreditlinien in Milliardenhöhe einzuräumen, bleibt wohl ihr Geheimnis. Warum werden elementare Kreditgrundsätze, die jedem Banklehrling eingehämmert werden, leichtsinnig über Bord geworfen, wenn das grosse Geld lockt? Ist es bonusgetriebene Gier? Oder vielmehr Naivität? Vermutlich ist es eine Mischung von beidem.

«Die Finanzbranche sollte sich auf einfache, verständliche Anlagen besinnen.»

Eine einfache Web-Suche genügt, um festzustellen, dass Harry Markowitz alles andere als ein Anhänger von Hedge Funds ist. «Markowitz attacks hedge fund diversification claims», heisst es zum Beispiel in einer Schlagzeile von Risk.net aus dem Jahr 2014. In effizienten und schnelllebigen Märkten gibt es keine Existenzberechtigung für intransparente Hedge Funds, deren Bruttorendite oft durch horrende Gebühren ausradiert wird. Die Bankiervereinigung ist bei der Suche nach innovativen Anlagelösungen offensichtlich einem Irrtum aufgesessen. Einen Nobelpreisträger für die Geschäftsziele ihrer Mitgliedbanken zu missbrauchen respektive falsch zu zitieren, ist nicht nobel. Markowitz hat nie proklamiert, in «Müll» zu diversifizieren, nur weil die Volatilität und die Korrelation tief sind. Spätestens wenn eine Krise eintritt, explodieren nämlich die vermeintlich tiefen Risikomasse illiquider Konstrukte. Genau das passierte ja auch beim Kollaps milliardenschwerer innovativer Hypothekenprodukte, die unzähligen Banken in der Finanzkrise zum Verhängnis wurden. Unappetitliche Rettungsaktionen durch den Staat waren die Folge.

Auch bei Lex Greensill und seinen Supply-Chain-Produkten ist fragwürdige Innovation im Spiel, die Anleger Milliardensummen kostet und ein weiteres Loch in die Bilanz kreditgebender Banken reissen dürfte. Dass solche Flops trotz einer Armada von Risiko- und Compliance-Experten nicht vermieden werden können, sagt viel aus über Produkte, bei denen neben Intransparenz auch eine erhöhte Betrugsgefahr besteht. Wer behauptet, ein umfassendes Vermögen sollte auch in Hedge Funds, Kunst, Bitcoin, Private Debt, Infrastrukturanlagen, komplexe Struki, Oldtimer oder eine Briefmarkensammlung diversifiziert sein, geht damit Risiken ein, die er eigentlich vermeiden wollte.

Stolperfallen für Anleger

In Analogie zu Industrieunternehmen verkünden Banken und Finanzdienstleister gerne das Ziel, die Margen zu steigern. Innovative Produkte bieten dazu die Lösung, da sie höheren Ertrag generieren. Ergibt es jedoch wirklich Sinn, im Anlagegeschäft nach höheren Margen zu streben? Möglicherweise ist das Gegenteil der Fall. Das explosive Gemisch aus verschachtelter Komplexität, Intransparenz, Hebel und Illiquidität erweist sich nämlich oft als Stolperfalle für die Anleger, wie die leidvollen Erfahrungen immer wieder zeigen.

Die Exponenten der Finanzbranche sind gut beraten, sich auf einfache und verständliche Anlagen zu besinnen. Eine Anlagepolitik, die auf Direktanlagen von erstklassigen Aktien und Anleihen setzt, mag langweilig und mit engeren Margen verbunden sein, doch sie verhindert Skandale und führt zu zufriedenen Kunden, die für den langfristigen Erfolg eines Finanzdienstleisters der wahre Hebel sind. Anleger wiederum sind gut beraten, nur das zu kaufen, was sie auch wirklich verstehen. Der Traum hoher Renditen innovativer Anlageprodukte droht sonst zum Trauma zu werden.

Innovation mag der Treiber erfolgreicher Unternehmen sein. Die Treiber einer erfolgreichen Anlagepolitik sind Beständigkeit, Disziplin, Einfachheit, Langeweile und Transparenz. Das war vor dreissig oder fünfzig Jahren so und wird wohl auch in zwanzig Jahren nicht anders sein.


12. Juni 2021

Autoren

Dr. Pirmin Hotz
ist Gründer und Inhaber der Dr. Pirmin Hotz Vermögensverwaltungen AG mit Sitz in Baar


Kategorien
  • Antizyklisch
  • Prognosefähigkeit
  • Langfristig