Neigen Aktienmärkte zu Überreaktionen?
Die an den Aktienmärkten herrschende Euphorie der neunziger Jahre ist seit dem Frühjahr 2000 einer ernüchterten Betrachtung der Investoren gewichen. Viele Marktteilnehmer haben in jüngster Zeit willentlich oder gezwungenermassen ihre Aktivitäten eingeschränkt oder eingestellt. Der Autor geht auf Grund der gegenwärtigen Geschehnisse an den Börsen der Frage nach, wieweit Aktienmärkte zu Übertreibungen neigen (Red.).
Die weltweiten Aktienmärkte haben in den letzten zwei Jahren eine deutliche Abwertung erfahren. fahren. Immerhin stehen der global zusammen-gesetzte MSCI World sowie der europäische Aktienindex DJ Stoxx 50 per Mitte September 2002 um beinahe 50% unter den im Frühjahr 2000 erreichten Höchstständen. Einige viel beachtete Aktienindizes wie beispielsweise der Nasdaq haben in derselben Zeit weit mehr eingebüsst. Waren die früheren Aktienkurse überteuert, oder befinden wir uns zurzeit in einer Phase negativer Übertreibungen? Folgt man der Erkenntnis der effizienten Märkte, welche unterstellt, dass die gültigen Marktpreise alle kursrelevanten Informationen enthalten, so ist klar, dass die Bejahung einer Übertreibung nicht auf der Hand liegt.
Prozyklische Verhaltensmuster
Natürlich fällt es heute vielen Anlageexperten einfach, die Börsenkorrektur der letzten zwei Jahre als logische Entwicklung einer früheren Überhitzungsphase darzustellen. Wäre die Korrektur auch aus damaliger Sicht und mit damaligem Wissensstand, also ex ante, rein rational zu erwarten gewesen, so müsste tatsächlich von einem ineffizienten Markt gesprochen werden. Diese Sicht der Dinge muss – auch im Licht der mittlerweile gewonnenen Erkenntnisse – jedoch stark in Zweifel gezogen werden. Wäre nämlich eine Überbewertung der Märkte im Jahre 2000 logisch erklärbar gewesen, so könnte wohl kaum begründet werden, warum gerade in der damaligen Zeit fast ausschliesslich positive Marktstimmen gehört werden konnten.
Der Euphorie ist Ernüchterung gewichen. Viele Marktteilnehmer haben desillusioniert ihre Positionen bereinigt oder sich ganz aus dem Geschehen verabschiedet. An den neuen Märkten hat sich Katerstimmung breit gemacht, die sogar deren Existenzberechtigung auf die Probe stellt. Die Kommentare der Analysten überbieten sich seit einiger Zeit in ihrem pessimistischen Ausblick. Positive Signale wie optimistischere Konjunkturindikatoren in den westlichen Industrienationen bleiben ungehört. Neigen die Märkte im prozyklischen Sinne zu Überreaktionen?
Fehlende, Geduld und Disziplin
Es gibt durchaus einige Argumente, die.in diese Richtung zielen. Zum einen ist ein wohl psychologisch motivierter Herdentrieb der Anleger zu erwähnen Wenn die Stimmung an den Märkten gut ist, können viele Investoren nicht genug Aktien besitzen. Umgekehrt trennt sich der prozyklische Anleger dann von seinen Papieren, wenn die Stimmung längst gekippt und sich das Preisniveau markant abgebaut hat. Analysten, die oft auch verkaufsunterstützend für ihr eigenes Institut wirken sollen, bekräftigen diesen Trend. Wenn dann die Liquidität der Märkte wie im jetzigen Umfeld zurückgeht, erhöht sich die Volatilität und die Gefahr einer Überreaktion erst recht. Zusätzlich verstärkt wird dieser prozyklische Trend auch durch die zunehmende Verunsicherung der Revisionsgesellschaften und Rating-Agenturen, die sich vor juristischen Klagen fürchten.
Zum anderen muss wohl angeführt werden, dass viele Anleger ihrem eigenen Anlagehorizont nicht treu bleiben. Während in einer Haussephase viele Aktionäre in einer Selbstverständlichkeit von einem Anlagehorizont von 5 oder 10 Jahren ausgehen verkürzt sich deren Perspektive in Baisseperioden nicht selten auf drei Monate oder höchstens ein Jahr. Werden die bereits desillusionierten Erwartungen in einem schlechten Umfeld nicht in kurzer Zeit erfüllt, so trennen sich viele Anlegen schon rein aus Verdruss von ihren Papieren. Dazu kommt, dass die Risikofähigkeit vieler Investoren in Krisenzeiten strapaziert wird. Es ist ein offenes Geheimnis, dass selbst professionelle Investoren wie Versicherungen und Pensionskassen in jüngster Zeit ihre Aktienanteile teilweise beachtlich gekürzt haben. Dies mag deshalb erstaunen, weil gerade von diesen Marktteilnehmern erwartet wird, mit langem Atem auf exzessive Börsenbewegungen professionell zu reagieren. gen professionell zu reagieren. Die dahin geschmolzenen Reserven der Institutionellen haben nun aber in kurzer Zeit dafür gesorgt, dass deren Risikofähigkeit drastisch zurückgegangen ist. Dies führt zweifellos zu einem Effekt in einer Baisse, die möglicherweise durch Leerverkäufe von Hedge Funds noch akzentuiert wurde. Aus dieser Erfahrung muss die Vermutung geäussert werden, dass einige institutionelle Anleger in den Hausse-Zeiten der neunziger Jahre ihre Risikofähigkeit überschätzt oder aber die Schwankungsanfälligkeit ihrer Anlagen schlicht unterschätzt haben.
Kaum Alternativen zu Aktien
Es stellt sich abschliessend die Frage, ob die Aktienanlage für längere Zeit abgeschrieben werden muss. Einige gute Gründe sprechen wohl dagegen. Zum einen ist es die Tatsache, dass viele negative Faktoren heute in den Preisen eskomptiert sind. Auch gibt es einige ermutigende Fakten von der Konjunkturfront. Glaubt man auch künftig an eine funktionierende und sich in Krisenzeiten reinigende Marktwirtschaft (Bilanzfälschungen, exzessive, Bonusbezüge von Managern), findet man wohl kaum eine Alternative zur Aktienanlage. Auf jede Korrektur folgte in der Vergangenheit eine entsprechende Gegenbewegung. Zusätzlich haben gerade die grossen Krisen des letzten Jahrhunderts gezeigt, dass in solchen Zeiten die Aktienanlage, ganz im Gegensatz zu Festverzinslichen, resistenter ist.
Die Aktienmärkte werden sich erholen, wenn auch die Kenntnis des richtigen Timings unmöglich ist. Dabei wird der Anleger Geduld und Disziplin zur konsequenten Umsetzung seiner Strategie aufbringen müssen. Auf diese Weise wird er wohl in einiger Zeit befriedigt feststellen, dass die weltweiten Aktienmärkte wieder einmal eine Übertreibungsphase korrigiert haben. Wenn auch ein wissenschaftlicher Nachweis für eine Ineffizienz von Aktienmärkten wohl nicht einfach zu erbringen ist, so lässt sich doch zumindest vermuten, dass eine temporäre Übertreibung von Kursbewegungen angenommen werden kann. Der konsequent antizyklisch operierende Anleger wird auch in der derzeitigen Börsenverfassung seine Schlüsse daraus ziehen.
10. September 2002
PRIMIN HOTZ
ist Gründer der Dr. Pirmin Hotz Vermögensverwaltungen
in Baar. Die Firma
hat 12 Mitarbeiter
und betreut Private
und Pensionskassen. Bei Hotz stiegen die verwalteten
Vermögen um 12%.
- Antizyklisch
- Prognosefähigkeit
- Timing