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Fragwürdige Akzente in der Vermögensanlage

Fragwürdige Akzente in der Vermögensanlage

Der Fokus auf Stock Picking, das Timing des Ein- und Ausstiegs sowie das Erzielen einer Überrendite führen in die Irre. Entscheidend ist die richtige Anlagestrategie. An einer soliden Diversifikation führt kein Weg vorbei.

Finanzexperten und Investoren kennen die Stammtischgespräche nur allzu gut. «Welche Aktie empfiehlst du aktuell zum Kauf?», lautet eine viel gestellte Frage. Eine andere: «Ist jetzt ein guter Zeitpunkt, um zu investieren?» Während es in der Diskussion mit Privaten um Stock Picking und Timing geht, drehen sich die Gespräche mit Institutionellen um die Frage, ob eine Benchmark geschlagen respektive eine Überrendite zum Vergleichsindex erzielt wird. Aber sind das wirklich die relevanten Fragen, die sich Anleger zu stellen haben, um langfristig erfolgreich zu sein?

Wer über Börsenerfahrung und die nötige Portion kritischer Selbstreflexion verfügt, weiss nur allzu gut, wie gefährlich es ist, Stock Picking zu betreiben, das auf beispielsweise vier oder fünf Aktien von Unternehmen abstützt, von denen man glaubt, es seien die aussichtsreichsten. Wir erinnern uns: Der legendäre Banker Martin Ebner war vor der Jahrtausendwende über viele Jahre äusserst erfolgreich darin, auf wenige «Pferde» wie ABB, Roche, SBG oder Winterthur zu setzen. Das ging so lange gut, bis ihn das Platzen der Dotcom-Blase und die Folgen von 9/11 in den finanziellen Abgrund rissen.

Martin Ebner wurden zwei elementare Fehler zum Verhängnis, deren Vermeidung jedem Investor wie ein Leuchtturm dienen sollte: mangelnde Diversifikation und zu hoher Leverage. Selbst hervorragend informierte Profis wissen nicht, ob in den nächsten zwölf Monaten Novartis oder Roche die bessere Performance aufweisen werden, denn in effizienten Märkten spielt der Zufall eine grosse Rolle.

Deshalb führt an einer soliden Diversifikation, die mindestens 25 bis 30 qualitativ erstklassige Aktien umfasst, kein Weg vorbei. Auf Leverage sollte verzichtet werden. Elon Musk, einer der Reichsten der Welt, musste nach der Übernahme von Twitter leidvoll erfahren, was es heisst, grosse Aktienpakete von Tesla zu Schleuderpreisen verkaufen zu müssen, um seine Kredite zu reduzieren.

Eigene Fähigkeit überschätzt

Investoren überschätzen auch ihre Timing-Fähigkeiten. Das Erwischen des idealen Kauf- oder Verkaufszeitpunkts ist reine Glückssache. Das grösste Risiko für Market-Timer und Zauderer besteht darin, nicht oder ungenügend investiert zu sein, wenn an der Börse die Post abgeht. Erfolgreiche Anleger kümmern sich wenig um das Timing und stehen Baissen durch, die sie nach Möglichkeit zu antizyklischen Zukäufen nutzen.

Das Mass aller Dinge im institutionellen Geschäft ist das Schlagen einer Benchmark respektive die Erzielung einer Überrendite. Selbstverständlich kommt dem Ziel einer langfristig herausragenden Performance zentrale Bedeutung zu. Dieses Ziel wird aber nicht mit der Kristallkugel erreicht, sondern indem die richtigen Fragen gestellt werden. Welche Anlagen werfen langfristig die höchsten Renditen ab? Können respektive sollen 10, 20, 40, 60 oder mehr Prozent in Aktien angelegt werden? Wie bedeutend soll der Anteil an Immobilien und Anleihen sein? Soll in Hedge Funds, Private Equity, Infrastruktur oder Kryptowährungen investiert werden?

Die Antworten darauf entscheiden zu rund 90% darüber, wie sich ein Portfolio bezüglich Renditen und Risiken entwickeln wird. Wenn die Anlagestruktur optimal definiert ist, ist die Frage, ob eine Benchmark geschlagen wird oder nicht, fast schon irrelevant.

Um es auf den Punkt zu bringen: Lieber erzielt eine Pensionskasse eine Unterrendite von 0,3% gegenüber einer optimal definierten Benchmark, die langfristig 7% abwirft, als eine Überrendite von 0,4% gegenüber einer suboptimalen Benchmark, die im Durchschnitt der Jahre nur gerade 3,5% rentiert. In der Welt der Consulting-Firmen, die Pensionskassen beraten, wird der Manager des Portfolios im ersten Fall abgestraft, im zweiten gefeiert.

Im Durchschnitt besitzen Pensionskassen rund 30% Aktien. Bei der Publica, der Pensionskasse der Bundesangestellten, sind es trotz faktisch unendlichem Anlagehorizont und hoher Risikofähigkeit gerade mal 25%. Angesichts dessen, dass Dividendenpapiere langfristig die überragende Anlagekategorie sind, ist das viel zu wenig.

Irritierend ist auch, dass Publica nur 3% in Schweizer Aktien, aber mehr als 7% in Schwellenländer investiert. Untersuchungen der britischen Professoren Elroy Dimson, Paul Marsh und Mike Staunton zeigen, dass Schweizer Aktien seit 1900 jährlich 4,5% Realrendite (in Dollar) abwarfen, während Emerging Markets mit deutlich höheren Risiken nur 3,8% rentierten.

Viele Consultants empfehlen ihren institutionellen Kunden überdies, einen Grossteil der Gelder passiv respektive indexiert zu investieren, weil sie nicht an die langfristige Erzielung einer Überrendite glauben. Gleichzeitig empfehlen sie den Kauf hochriskanter Hedge Funds, deren Geschäftsmodell einzig in der Hoffnung auf Erzielung einer Überrendite basiert. Das ist ein Widerspruch. Statt den Fokus auf die Erzielung einer Überrendite zu legen, wären Pensionskassen und deren Consultants gut beraten, empfohlene Anlagestrategien kritisch zu hinterfragen.

Wer strategisch optimal positioniert ist, braucht sich um eine taktische Überrendite, die oft dem Zufall geschuldet ist, nicht zu sorgen. Das beweist der äussert erfolgreiche norwegische Staatsfonds, der ein Volumen von über 1200 Mrd. Fr. umfasst. Er investiert zu 70% in Aktien, zu 25% in Anleihen und zu 5% in Immobilien.

Scheindiversifikation

Eine der Hauptursachen von suboptimalen Anlagestrategien vieler institutioneller Anleger liegt in der Messung kurzfristiger Schwankungsrisiken. Die Ermittlung von Volatilitäten und des Value at Risk im Monats- oder Quartalsrhythmus verhindert eine optimale Langfriststrategie und führt letztlich zu suboptimalen Renditeergebnissen. Die Messung kurzfristiger Risiken im Kontext einer langfristigen Anlagestrategie ist potenziell sogar brandgefährlich.

Um die von Controllern berechneten Risiken wie Volatilität oder Value at Risk nämlich reduzieren zu können, investieren institutionelle Anleger zunehmend in komplexe und illiquide Alternativanlagen wie Hedge Funds, Infrastruktur und Private Equity. Daraus resultiert eine Scheindiversifikation mit künstlich geglätteten Risikomassen, denn illiquide Produkte mit rein buchhalterisch ermittelten Werten (Net Asset Value) schwanken per Definition viel weniger als kotierte Werte.

Die wahren Risiken liegen denn auch in der Illiquidität, Intransparenz und den horrenden ausgewiesenen sowie versteckten Gebühren dieser Produkte. Sie rentieren bei Licht betrachtet viel weniger gut, als es von vielen Produktanbietern in ihren Hochglanzbroschüren angepriesen wird.

Teurer Irrtum

Consultants haben eine gewisse Tendenz zu Komplexität, um ihr eigenes Geschäftsmodell zu optimieren. Wenn sie glauben, sie müssten im Sinne einer falsch verstandenen Portfoliotheorie möglichst viele Anlagekategorien berücksichtigen, um Vermögen ausreichend zu diversifizieren, ist das ein Irrtum, der Pensionskassen langfristig Milliardenbeträge kostet.

Diversifikation ist nur solange etwas Gutes, wie auch die entsprechende Anlagekategorie etwas taugt. Thorsten Hens, Professor am Institut für Banking und Finance der Universität Zürich, brachte zu Beginn des Jahres in einem Interview mit «Finanz und Wirtschaft» auf den Punkt, dass das Erfolgsrezept der Geldanlage in der Einfachheit liegt: «Wenn Sie zehn Jahre Zeit haben, investieren Sie zu 100% in Aktien, und fertig.»


Finanz und Wirtschaft
5. August 2023

Autoren

Dr. Pirmin Hotz
ist Gründer und Inhaber der Dr. Pirmin Hotz Vermögensverwaltungen AG mit Sitz in Baar


Kategorien
  • Alternative Anlagen
  • Diversifikation
  • Langfristig
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